Ein Interview mit dem Psychologen PhDr. Dr. Cornel Binder-Krieglstein

In der Regel bestimmt der Markt den Preis. Dies geschieht durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage, wobei verschiedene Faktoren eine Rolle spielen. Wie etwa die Verfügbarkeit eines Produkts, die Wettbewerbssituation, der Zustand und vieles mehr.

Während unserer Tätigkeit in der Industrie-Auktionsbranche haben wir jedoch immer wieder aufsehenerregende Auktionsergebnisse erlebt, wo die Regeln der Rationalität in Zweifel gestellt wurden. So wie auch zum Beispiel während der Verwertung der Insolvenz von AirBerlin im Jahr 2017. Zu dieser Zeit wurden zahlreiche Kaffeebecher mit Firmenlogo für jeweils 100 Euro versteigert. Dieser Preis spiegelt lediglich den Zuschlagspreis wider, denn zusätzlich wurde ein Aufgeld von 15 % sowie die Umsatzsteuer erhoben. Das ist ein erheblicher Betrag für ein einzelnes Keramikstück, insbesondere wenn man bedenkt, dass man einen neuen gewöhnlichen Kaffeebecher im Einrichtungshaus um die Ecke für ein paar Euro erwerben kann. Normalerweise erzielen gebrauchte 0815-Kaffeebecher natürlich keine bemerkenswert hohen Preise auf dem Gebrauchtmarkt. Der hohe Bekanntheitsgrad der Airline und der immense Medienrummel führten jedoch sogar dazu, dass die berühmten Schokoherzchen der Fluglinie, trotz teilweise abgelaufener Haltbarkeit, zu exorbitanten Preisen versteigert wurden.

In der jüngeren Vergangenheit der bis dato größten Insolvenz Österreichs „Signa“ (2023) konnte dieses Phänomen erneut beobachtet werden. Fußmatten mit Firmenaufschrift wurden hier für über 1.600 Euro pro Stück versteigert. Ein bemerkenswerter Preis, bedenkt man, dass der übliche Neupreis für eine individualisierte und bedruckte Logomatte nur einen Bruchteil davon kostet. Jedoch handelt es sich dabei um personalisierte Artikel, da eine Matte mit Firmenlogo in der Regel nur für das jeweilige Unternehmen relevant ist. Es gibt natürlich Ausnahmen, insbesondere bei Unternehmen mit Kultstatus wie zum Beispiel Sportwagenherstellern oder Getränkeherstellern, die ihr eigenes Merchandise produzieren. In solchen Fällen ist es durchaus nachvollziehbar, dass ein begeisterter Fußballfan bereit ist, einige Euro für eine Fußmatte seines geliebten Teams zu bezahlen. Allerdings war die oben erwähnte versteigerte Fußmatte bereits gebraucht, und die Frage bleibt: Was macht eine Privatperson oder ein Unternehmen mit einer Matte eines Immobilienunternehmens?

Es scheint, dass Versteigerungen mit einem großen medialen Interesse bei Verwertungen einen regelrechten Hype auslösen, der zu unglaublichen Preisen für Verwertungsobjekte führen kann. Diese Entwicklung wirft die Frage auf, wie der Marktwert für Objekte in einem Umfeld, in dem ein enormes mediales und gesellschaftliches Interesse besteht, angemessen eingeschätzt werden kann?

Als Gutachter ist es entscheidend, dass wir uns kontinuierlich weiterbilden und stets auf dem neuesten Wissensstand bleiben. Weil uns dies Antworten zum angeführten Thema brennend interessieren, sind wir an den Psychologen PhDr. Dr. Cornel Binder-Krieglstein herangetreten, um unser Verständnis für den Faktor Menschen zu vertiefen. Durch das Interview haben wir wertvolle Einblicke und zahlreiche Erkenntnisse gewonnen. Die wichtigsten aus dem Interview haben wir hier zusammengefasst:

Einflüsse auf den Wert

Käufer und Käuferinnen

Es existiert kein einheitliches Profil, das alle Käuferinnen und Käufer gleichermaßen beschreibt oder auf alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Versteigerungen gleichermaßen zutrifft. Menschen haben unterschiedliche Kaufmotive, sind in unterschiedlichem Maße über Preise und Marktsituationen informiert und weisen verschiedenste Persönlichkeitsmerkmale auf. Einige sind rational, andere irrational, manche ehrgeizig, wieder andere zurückhaltend, risikobereit, herausforderungsorientiert, oder haben eine Affinität zum Wettbewerb, und so weiter. Wenn ein Standardprodukt in einem Geschäft zum empfohlenen Verkaufspreis angeboten wird, kann jede Person entscheiden, ob sie es zu diesem Preis kauft oder nicht, möglicherweise gibt es sogar noch einen Rabatt in Form von ein paar Prozenten. Bei einer Auktion jedoch treffen all diese verschiedenen Eigenschaften und Profile aufeinander, was bei einem Bietprozess zu einem regelrechten Schlagabtausch führen kann. Unabhängig davon, ob es sich um eine Marktknappheit des jeweiligen Objekts handelt oder nicht, können Auktionen die üblichen Marktwerte übersteigen und sogar weit übertreffen.

Storytelling

Das Significant Objects Project verdeutlicht eindrucksvoll die Kraft von Erzählungen und Emotionalität im Bereich des Handels. Es war ein experimentelles, literarisches Vorhaben, gestartet von Rob Walker und Joshua Glenn im Jahr 2009. Ziel war es zu untersuchen, ob der emotionale Wert eines Gegenstands durch eine erfundene Geschichte darüber gesteigert werden kann. Dazu erwarben sie günstige Fundstücke auf Flohmärkten, verfassten fiktive Geschichten über sie und boten sie dann auf eBay zur Versteigerung an. Die Ergebnisse waren verblüffend. Die mit Geschichten versehenen Gegenstände erzielten im Schnitt deutlich höhere Verkaufspreise (bis über 2.700%) als ihre ursprünglichen Anschaffungskosten. Dies deutet darauf hin, dass die Geschichten einen wesentlichen Einfluss auf die wahrgenommene Wertigkeit hatten.

Mediale Bekanntheit und öffentliches Interesse

Die Bewertung von Objekten, die ein hohes Medieninteresse hervorrufen, gestaltet sich als äußerst anspruchsvoll. Normalerweise wird der Wert eines Objekts durch den üblichen Handel bestimmt, basierend auf Angebot und Nachfrage, Zustand und diversen anderen Einflussfaktoren. Wenn jedoch ein starkes mediales und öffentliches Interesse besteht, entwickeln potenzielle Bieter:innen oft eine spezielle Vorstellung von Wert, die durch emotionale Anziehungskraft und gesteigertes Interesse geprägt ist. Es ist oft eine Fantasie die in den Köpfen der Teilnehmer:innen entsteht. Eine Lust sich die Fantasie auszumalen, ein Stück dieser Aufmerksamkeit und Besonderheit zu erwerben, einen Teil der Geschichte zu besitzen und machmal so in ihrer Vorstellung selbst ein Teil der berühmten Geschichte zu werden. Es kann auch durchaus vorkommen, dass manche Menschen persönlich gekränkt sind und mit dem Kauf jemand etwas „auswischen“ möchten.

Emotionale Komponente

Die emotionale Komponente wird von vielen Faktoren beeinflusst, darunter die Seltenheit eines Gegenstands, persönliche Erfahrungen, vergangene Erlebnisse, Beziehungen und vieles mehr. Ein Auto aus den 80ern mag für eine Person nur ein Mittel sein, um kostengünstig zur Arbeit zu gelangen, ohne einen besonderen Kultstatus zu haben. Doch für jemand anderen könnte genau dieses Fahrzeug das erste Auto gewesen sein, das sie sich mit ihrem eigenen Geld gekauft hat und aufgrund dieser emotionalen Bindung ist es für sie deutlich mehr wert.

Ein Bieterverfahren kann oft ein Gefühl von Konkurrenz und einen regelrechten Kampf um ein Objekt hervorrufen. Dieses Verhalten hat verschiedene Ursachen. Ein Beispiel hierfür ist, wenn ein Bieter (A) nach einem Gebot das Objekt bereits als sein Eigentum betrachtet, selbst wenn die Auktion noch lange dauert und möglicherweise sogar ein Mindestgebot erforderlich ist, das noch nicht erreicht wurde. Wenn dann ein weiterer Bieter (B) auf das Objekt bietet, könnte Bieter (A) sein vermeintliches Eigentum bedroht sehen. Eine Kombination aus Bedarf, Wettbewerbsdenken und Glücksspiel führt oft zu Preisen, die rational nicht zu erklären sind. In einigen Fällen geht es einfach nur darum, zu gewinnen, ungeachtet der Kosten.

Marken

Ein weiterer Aspekt, um die Preisgestaltung von Produkten zu verstehen, ist der Einfluss von Marken auf die Preisbildung. Ein einfaches Einkaufssackerl für 0,5 € aus dem Lebensmittelgeschäft könnte theoretisch ausreichen, um Besorgungen von A nach B zu transportieren. Doch es gibt Marken, die es geschafft haben, dass Kunden vor ihren Geschäften Schlange stehen und bereit sind, mehrere tausend Euro für einen Rucksack oder eine eigentlich einfache Tasche auszugeben, selbst wenn diese bereits gebraucht wurde. Wie ist das rational erklärbar? Garnicht, sagt Dr. Cornel Binder-Krieglstein.

Wo genau liegt die Grenze zwischen Rationalität und Emotion? Die Wiedererkennung bestimmt die emotionale Verbindung zur Marke und beeinflusst ihren Wert. Allerdings muss dieser Wert von vielen als solcher erkannt werden, nicht nur von einigen wenigen. Nur wenige Marken haben die Fähigkeit, eine solch starke emotionale Anziehungskraft zu erzeugen. Die Frage, die sich stellt, ist nun: Wie wird eine Marke zu einer Marke? Wir erkennen sofort bestimmte Produkte im Supermarkt als Marken oder Nicht-Marken. Doch wie entsteht eine Marke und wann wird sie von einem Großteil der Bevölkerung als wertvoll angesehen? Ein Logo, eine Farbe, eine besondere Gestaltung können dabei eine wichtige Rolle spielen.

Es gibt Experten, die sich ausschließlich mit dem Aufbau des Markenwerts beschäftigen, ohne dabei zum Beispiel die Qualitätsverbesserung des Produktes zu berücksichtigen. Andererseits konzentrieren sich Marken, die bereits einen solchen Status erreicht haben – wie Kleidungsmarken, Automobilhersteller, Luxusuhren, Hotelketten usw. – darauf, diesen Status zu erhalten. Dies geschieht in der Regel durch die Bereitstellung von Produkten oder Dienstleistungen höchster Qualität, die bestimmten Kreisen eine hohe Nachfrage generieren.

Der Grund, warum Personen bereit sind, mehrere tausend Euro für eine Luxustasche zu bezahlen, lässt sich durch verschiedene Einflussfaktoren erklären.

  • Exklusivität: Luxustaschen erzeugen ein Gefühl der Exklusivität, das auf den Besitzer übergehen kann.
  • Wahrnehmung im sozialen Umfeld: Die Wahrnehmung der Tasche durch das soziale Umfeld spielt oft eine Rolle, einschließlich Wert, Exklusivität und Neuheit.
  • Sozialer Status: Für einige Menschen hat der Besitz einer Luxustasche auch einen sozialen Aspekt, da er ihnen ermöglicht, einem elitären Kreis anzugehören.

Exklusivität

In der Exklusivität wird der Wert erzeug. Der Grund der Exklusivität kann unterschiedlicher Natur sein. So bestimmt etwa ein hoher Preis, eine besondere Lage oder ein Objekt, dass es nur einmal auf der Welt gibt (wie der Stift einer berühmten Person) die Attraktivität. In vielen Fällen ist die Motivation dahinter auch die Aufnahme in einen elitären Kreis, für Personen die sich das leisten können.

Winners Curse

Der „Winner’s Curse“ tritt auf, wenn derjenige, der bei einer Auktion oder Verhandlung den Zuschlag erhält, möglicherweise mehr für ein Objekt oder eine Ressource bezahlt, als sie tatsächlich wert ist. Dies passiert oft, wenn der Gewinner sein Gebot aufgrund von Emotionen, Druck durch andere Bieter oder unvollständigen Informationen über den tatsächlichen Wert des Gegenstands erhöht. Als Ergebnis könnte der Gewinner mehr bezahlen, als das Objekt wert ist, was zu einem finanziellen Verlust führen kann. Der Begriff „Winner’s Curse“ stammt aus der Wirtschaftstheorie und ist relevant für verschiedene Bereiche wie Finanzen, Immobilien und den Handel mit Rohstoffen. Um diese Falle zu vermeiden, ist es wichtig, den Wert des Objekts vorher genau bewerten zu lassen und rational mit zu bieten, anstatt sich von Emotionen oder Wettbewerbsdruck leiten zu lassen.

Fazit

Das Interview mit Dr. Cornel Binder-Krieglstein verdeutlicht die komplexen Dynamiken, die bei der Preisgestaltung von Objekten mit hohem medialen Interesse eine Rolle spielen. Es zeigt, dass der Wert eines Gegenstands nicht allein durch Marktmechanismen bestimmt wird, sondern vor allem auch durch psychologische Faktoren wie Emotionen, soziale Dynamiken und die Wahrnehmung von Marken. Insbesondere in Auktionen kann der „Winner’s Curse“ auftreten, wenn der Gewinner aufgrund von Emotionen oder unvollständigen Informationen mehr für ein Objekt zahlt, als es tatsächlich wert ist. Diese Erkenntnisse zeigen, dass die Preisfindung oft komplexer ist, als sie auf den ersten Blick erscheinen mag.

Selbst versierte Gutachter stehen oft vor der Herausforderung, die Emotionen und Fantasien zu antizipieren, die potenzielle Käufer mit den zu bewertenden Objekten verbinden. Eine präzise und zielgerichtete Bewertung in einem solchen Kontext ist auch für erfahrene Gutachter eine anspruchsvolle Aufgabe, die gelegentlich überraschende Ergebnisse hervorbringt.

Über PhDr. Dr. Cornel Binder-Krieglstein

Dr. Cornel Binder-Krieglstein ist in Wien geboren. Er ist Psychologe, Psychotherapeut in freier Praxis und führt die FOQUS-Gruppe, die sich mit dem Betrieb von sozialen Einrichtungen in Österreich seit über 20 Jahren befasst. Seine Schwerpunkte sind unter anderem Arbeits-, Wirtschafts- und Organisationspsychologie, Coaching und diverse Fortbildungsprogramme sowie Notfallpsychologie.

PhDr. Cornel Binder-Krieglstein