Schätzungen zufolge gibt es weltweit zig Milliarden verschiedene Produkte, Maschinen und Objekte, vom Kugelschreiber bis zur CNC-Fräse. Alleine die Plattform Amazon führt über 600 Millionen aktive Artikel, eBay listet mehr als 1,6 Milliarden Angebote, und in internationalen Produktdatenbanken wie GS1 oder GTIN sind über 150 Millionen Produktnummern registriert. Dazu kommen unzählige Variationen, Modelle, Sonderausstattungen und Konfigurationen, die die Vielfalt noch einmal vervielfachen.

Für jedes einzelne davon den Wert zu kennen, ist schlichtweg unmöglich. Natürlich gibt es Erfahrungswerte, aber die gelten meist nur für bestimmte Branchen oder sogenannte Dauerbrenner, also Objekte, die regelmäßig bewertet oder gehandelt werden.

Natürlich wäre es schön, ein Gedächtnis wie Mike Ross aus der Serie Suits zu haben, der mit seinem eidetischen Gedächtnis jede Zahl, jedes Dokument und jedes Detail im Kopf behalten kann. In der Realität wäre das allerdings nur bedingt hilfreich, denn Modelle, Leistungsdaten, Preise und Werte verändern sich ständig. Was gestern richtig war, kann morgen schon überholt sein.

Ein Sachverständiger ist kein wandelnder Preiskatalog. Er ist jemand, der Zusammenhänge versteht, Märkte beobachtet und Werte ableitet, immer im Kontext des Objekts, des Zwecks und des Zeitpunkts.

Warum man nicht alles wissen kann

Ein Gutachter, der ausschließlich Traktoren bewertet, kennt die Marktpreise aus dem Effeff, vor allem, wenn er selbst im Handel tätig ist. Doch wer branchenübergreifend arbeitet, steht vor einer ganz anderen Herausforderung.

Von Metallbearbeitungsmaschinen, Holzverarbeitung, Land- und Baumaschinen, Fahrzeugen, Betriebsausstattung, Werkzeugen, IT-Equipment, Serveranlagen, Büromöbeln, Gastronomieeinrichtungen, Bäckerei- und Metzgereimaschinen, Fitness- und Solarstudio-Ausstattung, Hautpflege- und Kosmetikgeräten, Medizintechnik, Werkstattausrüstung, Kühltechnik, Bühnentechnik, Fotostudios, Weinbauanlagen, Landwirtschaftstechnik, Laborbedarf, Messmaschinen, Verpackungsanlagen, Lagertechnik, Tankanlagen, Forsttechnik bis hin zu Sonderanfertigungen, die Bandbreite an Objekten, die ein Sachverständiger bewerten kann, ist nahezu endlos.

Dazu kommen Hersteller, Baujahre, Seriennummern, Sondermodelle und Zustandsunterschiede, die jede Bewertung individuell machen. Und selbst innerhalb einer Branche sind die Preisspannen enorm. In der Gastronomie kann ein Hersteller A eher im niedrigpreisigen Segment liegen, während Hersteller B für hochwertige, maßgefertigte Ausstattung bekannt ist. Dazwischen existieren zahllose Zwischenstufen, von günstiger Serienfertigung bis zu teuren Einzelanfertigungen. Das macht es unmöglich, pauschal von „dem Wert einer Küche oder Bar“ zu sprechen.

Das ist wie im Autohandel: Fragt man einen Händler für Marke A, was ein Fahrzeug von Marke B in einer bestimmten Ausstattung und Farbe wert ist, wird auch er erst nachsehen müssen.

Wie sich Märkte verändern

In der Bewertungspraxis zeigt sich, dass sich ganze Branchen manchmal ähnlich wie in Wellen bewegen, meist ausgelöst durch wirtschaftliche Entwicklungen oder Insolvenzen. Manchmal häufen sich Gastrofälle, dann Druckereien, später wieder Metallbetriebe oder Baufirmen. Diese Insolvenzwellen verändern den Markt. Wenn plötzlich viele ähnliche Maschinen oder Geräte gleichzeitig angeboten werden, sinken die Preise deutlich. Ein Gutachter muss daher ständig Marktbewegungen beobachten, Preisentwicklungen prüfen und einschätzen, ob die Nachfrage stabil, rückläufig oder bereits gesättigt ist.

Bewertung ist keine Zahl, sondern ein Prozess

Eine Bewertung ist keine spontane Zahl, sondern das Ergebnis eines strukturierten Prozesses, der mit Erfahrung, Marktverständnis und Sorgfalt durchgeführt wird. Dazu gehören die Objektaufnahme, die technische Beschreibung, die Prüfung des Zustands und der Vollständigkeit, die Marktanalyse und schließlich die Einordnung in Verkehrswert, Liquidationswert, etc. Außerdem spielt der Bewertungszweck eine große Rolle, ob es sich um eine Insolvenz, eine Sanierung, eine Versicherung oder eine geplante Verwertung handelt.

Ein und dasselbe Objekt kann daher völlig unterschiedliche Werte haben, je nachdem, wer der Auftraggeber ist, wofür der Wert gebraucht wird und in welchem Marktumfeld man sich befindet.

Der Sachverständige als Schnittstelle zwischen Markt und Realität

Die Kunst eines guten Sachverständigen liegt darin, technisches Verständnis, Marktkenntnis und Erfahrung zu verbinden. Gleichzeitig ist das Verständnis für den jeweiligen Markt entscheidend. Manche Bewertungen sind aufwändig, weil Informationen fehlen oder erst recherchiert werden müssen. Dazu gehört, dass man zum Hörer greift, mit Händlern, Auktionshäusern, Werkstätten oder Herstellern spricht, Reparaturangebote einholt oder sich Exportpreise ansieht.

Das kostet Zeit, aber nur so entstehen nachvollziehbare und belastbare Werte. Ein Gutachten, das über Nacht erstellt wird, mag schnell sein, aber Schnelligkeit ersetzt keine gründliche Recherche. Ein Sachverständiger ist kein wandelnder Preiskatalog, sondern ein Analyst, Übersetzer und Beobachter des Marktes, der laufend lernt, vergleicht und einordnet.

Fazit

Bewertung bedeutet, Wissen aus unterschiedlichen Quellen zu verknüpfen: Erfahrung, Marktbeobachtung und gesunden Menschenverstand. In einer Welt, in der sich Märkte ständig verändern und neue Technologien entstehen, ist Stillstand keine Option. Deshalb ist ein guter Sachverständiger kein Preiskatalog, sondern jemand, der versteht, wann ein Wert wirklich ein Wert ist.

Titelfoto von Angèle Kamp auf Unsplash