In der Bewertungspraxis gibt es nicht den einen Wert. Ein und dasselbe Objekt, etwa eine Maschine, ein Fahrzeug oder ein Traktor, kann je nach Situation, Zielgruppe und Verkaufsweg unterschiedliche Wertansätze haben. Genau hier liegt die Herausforderung für Sachverständige: den passenden Wert für den jeweiligen Zweck zu bestimmen.

Der Ausgangspunkt: Wer verkauft an wen?

Ob es sich um eine Leasingbank, einen Insolvenzverwalter oder ein Auktionshaus handelt: entscheidend ist immer die Frage, wer verkauft, an wen und zu welchem Ziel. Denn der ermittelte Verkehrswert (also der Wert im gewöhnlichen Geschäftsverkehr) kann sich erheblich unterscheiden, je nachdem, ob der Verkauf an Endkunden (B2C) oder an Händler bzw. Wiederverkäufer (B2B) erfolgt.

Beispiel: Leasingrückläufer im Praxistest

Nehmen wir als Beispiel eine Leasingbank, die den Wert eines Leasingrückläufers, etwa eines Traktors, ermitteln möchte. Wenn der Verkauf direkt an einen Endkunden erfolgt, liegt der erzielbare Preis meist höher, weil dieser Käufer den Traktor für den eigenen Einsatz kauft und nicht weiterverkauft.

Wird das Objekt hingegen an einen Händler verkauft, der es aufbereitet, transportiert, lagert und mit Marge weiterverkauft, muss dieser Aufwand berücksichtigt werden, der Händlerwert liegt somit niedriger. Ähnlich verhält es sich, wenn das Objekt über ein Auktionshaus verwertet wird: Auktionshäuser verlangen Gebühren, Provisionen und handeln je nach Geschäftsmodell entweder B2B, B2C oder gemischt. Verkauft das Auktionshaus ausschließlich an Händler, fällt der erzielbare Wert zwangsläufig geringer aus.

Das Dilemma des Gutachters

Hier entsteht das Spannungsfeld, in dem sich Sachverständige bewegen: Ein Verkehrswertgutachten soll den realistischen Marktwert möglichst genau abbilden, nur dieser Marktwert ist kein fixer Betrag, sondern eine Bandbreite, die stark vom Verwertungskontext abhängt. Wird ein Verkehrswertgutachten erstellt, das von einem Verkauf an Endkunden ausgeht, und die Verwertung erfolgt anschließend über Händler oder Auktionshäuser, dann müssen Spannen und Margen berücksichtigt werden. Ein zu hoher Wert kann dazu führen, dass sich das Objekt nicht verkaufen lässt, ein zu niedriger Wert dagegen kann Vermögensverluste verursachen. In vielen Fällen wird daher ergänzend ein Liquidationsgutachten erstellt, um den voraussichtlich erzielbaren Wert bei einer Verwertung, etwa über Auktionshäuser oder Händler, realistisch abzubilden.

Bedeutung für Insolvenzverwalter und Verwertungsunternehmen

Auch im Insolvenzfall ist der Wertansatz entscheidend: Wird ein Betrieb fortgeführt, ist der Wert von Anlagegütern und Maschinen meist höher, da ihre Nutzung wirtschaftlich weitergeht. Bei einer Zerschlagung oder Verkauf bzw. Verwertung über ein Auktionshaus hingegen müssen Abschläge, Logistikkosten und Margen einkalkuliert werden. Selbst bei Dienstleistungsversteigerungen darf man nicht vergessen, dass das Auktionshaus ebenfalls eine Marge und Aufschläge verlangt, die den Nettoerlös entsprechend mindern. Auch hier kann ein zusätzliches Liquidationsgutachten sinnvoll sein, um die Differenz zwischen theoretischem Marktwert und real erzielbarem Verwertungswert transparent zu machen.

Unterschiedliche Ausgangspunkte der Auftraggeber

In der Praxis zeigt sich häufig, dass verschiedene Auftraggeber unterschiedliche Vorstellungen vom „richtigen“ Wert haben. Während Auftraggeber A beispielsweise vom Endkundenwert (B2C) ausgeht, erwartet Auftraggeber B einen Händler- oder Liquidationswert (B2B), oft ohne dies ausdrücklich zu formulieren.

Gerade in solchen Fällen kann es zu Missverständnissen kommen, wenn nicht klar ist, welcher Bewertungszweck tatsächlich zugrunde gelegt werden soll. Um diese Unschärfen zu vermeiden, halten wir in all unseren Gutachten den Bewertungszweck und die Ausgangslage ausdrücklich fest. Dadurch wird sichergestellt, dass der ermittelte Wert im richtigen Kontext verstanden und auch nachvollziehbar kommuniziert werden kann, sowohl für Auftraggeber als auch für Dritte, die das Gutachten später verwenden.

Fazit: Der Wert ist immer zweckabhängig

Ein Wert ist niemals absolut, sondern hängt vom Bewertungszweck, der Zielgruppe und dem Vertriebsweg ab. Genau deshalb ist es wichtig, bei jeder Bewertung klar zu definieren, für wen und zu welchem Zweck der Wert ermittelt wird, sei es für eine Leasinggesellschaft, ein Auktionshaus, ein Insolvenzverfahren oder den privaten Verkauf. Nur wenn dieser Kontext eindeutig ist, kann das Gutachten nachvollziehbar, objektiv und realistisch sein. Und genau das ist die Aufgabe professioneller Sachverständiger.

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